Rede Hajo Schiff zur Ausstellung von Yuniel Delgado bei heissingArt
Vision und Kritik
So phantastisch seine Bilder mitunter wirken – für den Künstler Yuniel Delgado Castillo ist Malerei vor allem ein Instrument der Befragung der Realität und der Identität. Und zwar zuerst für sich selbst. Sich selbst ein Bild machen: Umgangssprachlich ist das abstrakt geworden, für den Künstler aber ist Malerei eine praktische Methode, im aktiven, oft spontanen Dialog mit der Leinwand sich über die Welt klar zu werden. „Creando – Pensando – Fabulando …“ beschreibt Yuniel Delgado seinen Prozess der Bilderstellung. Es ist ein Erfinden durch die Malerei selbst, ein kreativer Vorgang im dynamischen Machen. Diese Bilder kommen durch die Kraft der Kunst auf der Leinwand zum Leben und nicht aus einem politischen oder sozial wohlmeinenden Anliegen, das dann ein wenig künstlerisch illustriert wird, wie es leider jetzt sooft in der Kunst der Fall ist, besonders auf der ganz und gar misslungenen, fast kunstfreien aktuellen documenta in Kassel.Aus dem oft schnell und obsessiv gemalten und trotz seiner Jugend bereits umfangreichen Werk Yuniel Delgados Castillos hat der Galerist Heinrich Heissing für die Ausstellung „Balance der Koexistenz“ eine spezielle Werkgruppe herausgesucht: Es sind Bilder, die die Relation von Mensch und Tier betreffen – teils eher kritisch, teils magisch-religiös, wie bei dem Paar in „Abendessen, Geheimnis und Religion“ (auf der Einladungskarte verwendet). Unser Verhältnis zu Tieren ist sehr ambivalent: Wir lieben sie und wir essen sie. Wir arbeiten mit Ihnen – früher mehr als heute – und wir züchten sie, schützen sie oder rotten sie aus – je nachdem. Es ist eine Mischung aus Wertschätzung und Dominanz. Wilde Raubtiere werden bewundert, lieber aber unter Kontrolle gehalten. Fast eine zweite Welt bildet das Universum der Erzählungen, das um die Tiere gesponnen wurde. Da gehen die Hasen zur Schule, die Mäuse machen amüsanten Unfug, die Enten werden Milliardäre und die Löwen Könige. Wir spiegeln die Gesellschaft und unsere Wünsche auf die Tiere und verwenden umgekehrt unseren Eindruck von ihnen zur Beschreibung unserer Welt. Manche Tiere gelten manchen als heilig und manche Tiere werden sogar in den Himmel unter die Sterne projiziert. Mit Tieren als Akteuren lässt sich gut fabulieren.So auch hier. Eine Ausstellung von Bildern ist immer auch ein Theater, eine Arena, eine Erzählung nicht nur in den Bildern, sondern auch zwischen den Bildern. Gegeben wird hier eine illustre Versammlung von Wesen: Verschiedene zivilisierte Vogelmenschen; als bedrohter Bedroher ein aggressiver, doch nackt an der Garotte gefangener Wolf; ein sich selbst verzehrendes leckeres Iberico-Serrano-Schwein; ein Panda, der mit einem Teddy spielt; zeitungslesende Insekten oder ein vom Tode bedrohten Dammhirsch auf einem Laufband … es zeigen sich ungehorsame Vermischungen, verwirrend oder auch märchenhaft. Solchen Verwandlungsgeschichten lauschten wir einst als Kinder mit Interesse und unbezweifelnder Phantasie.Es könnte um eine posthumane Erweiterung gehen, nicht technisch gedacht sondern metaphorisch in Gemeinschaft mit der Natur und ihren Wesen. Oder vielleicht etwas weniger weit um Bild gewordene Vorstellungen von Tiereigenschaften zur Charakterisierung von Menschentypen? Oder doch um die Ahnung, ein Werwolf zu sein? Das Motiv permanenter Transfiguration über den Traum hinaus ist in der Pop-Kultur, im Comic oder in der Gamer-Szene so gegenwärtig, dass es schon fast real scheint. Jedenfalls gibt es ganz real die Tendenz, abgeschlossene Identitäten sozial und psychologisch kritisch zu sehen, traditionell blockhafte Selbstkonstruktionen zu öffnen und alle Menschen als multiple Wesen zu verstehen – und zwar in positivem Sinne: ICH IST EIN ANDERER.Kunsthistorisch sind solche Zusammenfügungen disparater Elemente, solche lustvollen Regelverstöße, seit der Renaissance als Capriccios bekannt. Und auch der Surrealismus hatte daran große Freude. Eine schöne der möglichen Herleitungen des Begriffs Capriccio kommt von Cabo Ricco, was sich ja auch auf einen „Reichen Kopf“, eine kreative Phantasie des die akademische Ordentlichkeit sprengenden Künstlers beziehen kann. Und bei den keineswegs nur spielerischen Capriccios ist sicher vor allem Goya zu nennen, schließlich sind auch Yuniel Delgados Bilder ja bei aller leuchtenden Farbpracht durchaus meist gesellschaftskritisch. Aber eben undogmatisch, voller Ambiguitäten und Paradoxien…Es klingt nett, wenn das Tier vermenschlicht wird, es klingt weniger nett, wenn gesagt wird, der Mensch vertiert. Wie überhaupt sind denn die hier zu sehenden Figuren zu definieren? Der menschliche Anteil scheint zu überwiegen, aber die Ausdrucksstärke der Tierköpfe ist präsenter. Und nur die wenigsten Menschen haben Flügel. Es sind also keine Masken, die die Akteure des Weltendramas da tragen. Eher ist eine traumhafte Mischwelt imaginiert, in der schon bisher ganz praktisch lustige Schweinchenfiguren für das Sonderangebot des Schlachters werben und seltsame chinesische Bambusfresser mit einer brillenartigen Augenzeichnung hemmungslos verniedlicht und kommerziell verwertet werden. Und manchmal wird es bei Yuniel Delgado durchaus drastisch: Am Fließband der Fleischverwertung begutachten im weißen Kittel die Schweine das Menschenfleisch. Evolution verkehrt.Doch in diesen Mensch-Tier-Relationen stecken auch weiterführende allegorische Bedeutungen. Manchmal geben die Bildtitel einen Hinweis, mitunter findet sich Schrift im Bild selbst. Im „Die Phantasie des Mannes“ betitelten Bild wird der Traum des Grillmeisters zum Albtraum des Rindes, wobei erstaunlicherweise die Bildstimmung eher positiv bleibt.Die Rattendame im weißen Kleid vor violettem Hintergrund ist als „Viktorianisch“ betitelt – es könnte in dem so schön passenden Kolorit auch ein Hinweis auf den gefräßigen Charakter des britischen Empires sein. Allerdings sind Zuordnungen von Eigenschaften an einzelne Tiere auch stark kulturell geprägt und durchaus ambivalent. Bei uns durchwegs böse und Krankheiten bringend (wie die Große Pest), wäre in Asien die Ratte ein eher positives, schlaues, ehrliches und kreatives Tier – übrigens auch das Reittier des HinduGottes Ganesha … und dann wäre die vornehme Dame vielleicht eher eine ratgebende Rätin als eine Rättin (– auch wenn solches Wortspiel im Spanischen nicht möglich wäre).Der vermutlich amerikanische Adler frisst die Chips eines farblich zitierten Großkonzerns, hier mit dem von LAYER nur leicht veränderten Namen LIAR, was nun aber Lügner heißt. Kaum möglich, nicht an die politische Lage in den USA zu denken. Oder das Riesenrind, vielleicht so etwas wie ein rötliches „Goldenes Kalb“, symbolisch aufgesockelt auf einem Paket von AMAZON PRIME: Es trägt den Titel „einwerfen“. Hier scheint sich was umzukehren: Nicht eine Sendung wird eingeworfen, es scheint als sei dies ein großer Tresor, in den Geld einzuwerfen ist, damit das größte Weltwarenhaus und seine elektronische Dienstleistungsfirma immer und immer reicher und mächtiger werden.Der mythische, sonnensuchende Ikaros, hier als ein halber Riesen-Albatros dargestellt, ist an eine Boje gebunden. Doch die Verankerung ist so klein, er könnte sie auch mit davon tragen. … Und das ist eben das Tröstliche an der Mehrdeutigkeit der Bilder: Es liegt im Auge der Betrachter, ob hier ein Scheitern zu erwarten ist oder eine Befreiung.„Mich interessieren mehr die Zweifel, als die Sicherheiten“ sagt Yuniel Delgado. Ohne Zweifel: So entstehen wichtige und gute Bilder und mit Sicherheit sind diese Arbeiten eine gute Anlage.
Hajo Schiff © 27. August 22