Vibrierende Welten
Ein Bild ist ein Spiegel der Welt und ein Tor zu neuen Welten, es ist eine eigene Erzählung, oft mit speziell codierten Zeichen. Unübersehbar Street-Art Bezüge hat die von Nemo Lienau verwendete Bildsprache, eine schnelle Zeichenhaftigkeit, der die Farbe dann einen Bildraum gibt.Das Urbild dieser Malerei scheint ein Moment, der stroboskopartig kürzer aufblitzt, als er fixiert werden kann. Die Arbeiten spiegeln den ständigen, allgegenwärtigen aber doch kaum verkraftbaren Media-Overload der Gegenwart und bilden ihn ab. Eindruck wird Ausdruck: Es gibt keine lineare Zeit mehr, die Welt stürzt in Gleichzeitigkeit zusammen.Nemo Lienau bringt die verwirrend vielen Wesen, die im Inneren nicht immer freundlich toben, zum Vorschein und bannt sie auf der Leinwand. Es sind nicht komplexe Köpfe, die in einzelne Gedanken aufgesplittert sind, sondern es scheint die monströse Vielfältigkeit selbst, die aus der Tiefe der nervösen Stadt, deren Mauern reden und deren Züge kreischen, zu einem obsessiven Augenblick verdichtet wird. Wahrnehmungsheischende Verwandlungsfiguren erscheinen mit einer Augenlinie zwischen Maskenhaftigkeit und zerborstener Vibration: Nächtlich phantasierte und täglich medial herbeizitierte, mehr oder weniger doch reale Monster öffnen den Weg in eine hintergründig bunte Welt voller schriller Bruchstücke.Aufgebrochene Formen dominieren, die eher zeichnerisch das Bild füllen, aber Fragmente einer Geschichte nicht ausschließen. Und dazwischen als bilderweiternde Tags gerappte Wortzitate. Nemo Lienau ist auch DJ, Musiker und Komponist. Die angetriggerte Stimmung ist umso stimmiger, da sie keineswegs Einstimmigkeit sucht. Fühlbar wird eine Stadtlandschaft im Neonblinken samt den Exotismen der jugendlichen Subkultur-Tribes und ihrer mehr oder weniger geheimen Zeichensysteme, von denen Graffiti nur die sichtbarsten sind.Als Maler ist Nemo Lienau Autodidakt, hat aber lange als Assistent einer international bekannten deutschen Künstlerin gearbeitet. Seine Bilder kommen selten aus der Kunst, sie kommen unmittelbar aus dem Leben, aus einer Lebensrealität, die immer zugleich auch medial mitgeformt ist, und so die Realität ständig zur zweifelhaft uneindeutigen, mehrschichtigen Folie macht.
Text von Hajo Schiff