Claudia Mächler
Bevor der Kopf, das Gesicht oder grundsätzlich die Figur auf dem Bild wahrnehmbar sind, geraten wir in die Farbe. Das meint nicht etwa den Farbton, das bestimmte Blau oder Rot, sondern die schiere Materialität der Farbe. Sie schiebt sich übereinander, sie tritt vor und zurück: Der Pinselduktus ist gut verfolgbar, aber es gibt eine Fülle von Schichten, die gegenläufig oder überhaupt technisch anders erscheinen. So geht die Malerin Claudia Mächler in ihren „Structure“-Bildern (2021) mit einer besonderen Dynamik dabei vor, ihre Porträts in zerdehnten und gestreckten, stürzenden und getupften Farben gleichzeitig zu zeigen. Das Porträt, über die Augen oft ein Gesicht mit direktem Kontakt zum Betrachter, ist realistisch bis in fotografische Details, folgerichtig etwa genau der Augen. Dieses ist gemäß der älteren und neueren Meister und Meisterinnen der Porträtkunst, von denen Mächler sich aber auf nur wenige beruft. Ihre Porträts haben mit jenen von Jenny Saville, Marlene Dumas oder Lucian Freud gemeinsam, dass sie Persönlichkeit und Berührbarkeit nach außen tragen. Hier gilt also: Wie viel nicht sichtbarer Geist, wie viel Ausdruck und wie viel Fiktion steckt in der Darstellung des Individuums?
Das Gesicht ist dabei das Feld, auf dem alles geschieht. Vor allem Beginn des Bildes ist Bewegung da, noch bevor auch nur die erste Linie versucht, es zu beschreiben. Es ist die Fläche selbst, die mit gestischen Strudeln von Farbe bedeckt ist, sie ist der Grund, auf dem sich das Geschehen bewegt. Die Malerin Claudia Mächler bereitet die Basis für ihre Porträtmalerei immer mit größtmöglicher Freiheit vor – es ist die Bewegung und der Auftrag von Farbe, im Wechsel von lasierend und pastos, die den Ausdruck ihrer Bilder bestimmt. Das Dynamische ist wiederum Ausdruck und Spur ihres körperlichen Einsatzes als Malerin, der Art und Weise, die Farbe auf die Leinwand zu bringen, das Schütten und Verstreichen in alle Richtungen. Es ist Energie in einem abstrakten All-over, das hier den Bildraum bietet für das Abbild des Menschen. Es ist die Energie, die hier nötig ist, um Emotion erst herzustellen.
Denn das Gesicht ist nicht statisch, nicht stillgestellt, ein Porträt muss das berücksichtigen. Was ist Ähnlichkeit? Wann ist eine Abbildung mit der Person identisch? Kaum je, so mag man antworten. Denn das Gesicht ist niemals fest. Es ist nicht wiederzugeben mit dem richtigen Winkel von der Nase zum Mund oder der Stellung der Augen zueinander. Die Selbstähnlichkeit des Porträts mit dem Menschen ist seit zwei Jahrtausenden allzu oft uneingelöstes Ziel der Malerei. Es ist sicher, dass die Darstellung des menschlichen Gesichtes historisch vor allem über die Maske geschah. Im Ursprung als Grabbeigabe erfunden, löste sie die stellvertretende Maske ab, die wie sie die Funktion hatte, die Gestorbenen durch das Schattenreich des Todes zu leiten. Claudia Mächler kennt die Theorie und die Geschichte des Gesichts, auch die Versuche, durch physiognomische Untersuchungen auf das Selbst des Menschen schließen zu wollen. Und sie weiß: Gerade das auf äußerste Ähnlichkeit bedachte Porträt erstarrt in der Maske – es kann immer einem Gesicht ähneln, es aber niemals sein.
So ist ihr der Bildraum eine Folie zur Untermalung und Durchdringung mit dem Motiv als weitere Schichtung. Farben schimmern heraus unter duffer Übermalung, auch durch die wechselnde Verwendung von Öl- und Acrylfarben erzeugt. Die Flächen bleiben in der Bewegung stehen und bedeuten sich zunächst einmal selbst. Andere sind wie ausgeschnitten und verbinden sich mit der malerischen Ausformulierung des Kopfes. Die Durcharbeitung der abstrakten Flächen und der Farbschlieren treffen so auf eine zeichnerisch präzise Weise der Wiedergabe des Gesichts. Claudia Mächler gibt damit dem Bildnis etwas, was dem Porträt sonst fehlt – die Dimension von Zeit.
Peter Boué